Vor dem Metaverse die Augen verschließen
Liebe Brieffreunde,
in den Reaktionen zur Ankündigung der bald Meta heißenden Firma hinter dem Produkten Facebook, WhatsApp, Instagram und Oculus fand sich meiner Meinung nach nicht genug Tiefe.
Hier die erwartbaren Klassiker:
lol mark zuckerberg spricht komisch und sieht albern aus
die versuchen wohl von abzulenken
ich mag facebook nicht facebook bad
An all dem mag etwas dran sein, aber ich halte es für sinnvoll, besonders als Person, die ihr Geld damit verdient, digitale Produkte zu entwickeln, vielleicht 3-4 weitere Gehirnwindungen anzustrengen, um wirklich zu verstehen, was hier gerade passiert.
Wer mich im echten Leben kennt (Wegwerffloskel, die ich einsetze, um wie jemand zu wirken der Freunde hat) ist seit einigen Jahren von meinen endlosen Monologen zum Thema VR und AR (in Kombination auch als XR bezeichnet) als Softwareplattform der Zukunft genervt. Seit ich vor Jahren das erste Mal eine VR-Brille aufsetzte und as digitalen Lüftungsschächten Roboter mit Messern bewarf, ließ mich diese Technologie nicht mehr los.
Wer jetzt also das wirklich(!) sehenswerte, anderthalbstündige Video zur Zukunftsvision von Meta anschaut und vielleicht sogar noch dieses ebenfalls sehr empfehlenswerte Interview mit Mark Zuckerberg liest, aber nur daraus mitnimmt, dass Facebook böse, die Vision gruselig ist und Mark Zuckerberg eine schlechte Frisur hat, übersieht den historischen Wendepunkt an dem wir uns befinden.
Es geht nicht um Meta oder Facebook. "Metaverse" ist nur Branding und bedeutet nichts. Es geht um AR, VR, ein bisschen Blockchain und die künftige Art der Interaktion mit Software und Mitmenschen. Zuckerberg, wie er im verlinkten Interview selbst sagt, macht nicht mehr als sich und sein Unternehmen für die erwartbare Zukunft zu positionieren. Google, Microsoft, Apple und Snap tun im Hintergrund bereits das Gleiche.
Diesen Aspekt nicht sehen zu können, weil man sich von (nachvollziehbarer) Antipathie blenden lässt, wird einen zeitnah als eine der Personen dastehen lassen, die von der Technologie der Zukunft überholt wurden.
Was man aus dieser Ankündigung und den darin gezeigten noch recht zahmen Konzepten mitnehmen muss ist, dass eine der einflussreichsten und monetär und technologisch am besten aufgestellten Firmen der Welt so sehr von dieser Zukunft überzeugt ist, dass sie sich in ihrer Gänze auf in diese Richtung positioniert. Der Teil ist nicht PR, sondern eine messbare Wahrheit, die man zu akzeptieren lernen sollte.
Meta glaubt, wie ich auch, dass die Zukunft von Software natürlich nicht für immer auf Smartphones stattfinden wird. Das ist für einige schwer zu akzeptieren, weil sie nichts anderes kennen oder so alt sind, dass sie weiterhin von kleinen Glasscheiben mit Pixeln drauf beeindruckt werden können.
Im Stratechery-Interview mit Ben Thompson wird erwähnt, dass eines der inhärenten Probleme von XR ist, dass man es nicht verstehen kann, wenn man es nicht erlebt hat. Sich einzubilden, dass man sich ausreichend vorstellen könnte, wie es ist, wenn man sich selbst mit seinem Körper in einer virtuellen Welt befindet, ist eine fehlerhafte Annahme. Mark Zuckerbergs ständige Erwähnung von "Presence" ist kein inhaltsloses Gelaber. Der Wechsel von "Daumen auf Display" zu "Ganzer Körper in Welt" ist ein Quantensprung darin, wie wir mit Software und anderen Leuten im digitalen Raum interagieren.
Wer glaubt, dass es sich hierbei um eine technologische Sackgasse handelt, der Fortschritt der vorgestellten Anwendungsfälle nicht groß genug ist oder "Smartphones total ausreichend sind", beantwortet damit eine Frage, die ich mir über die Vergangenheit oft gestellt habe. Wie konnte es sein, dass Leute wirklich dachten, dass Fernsehen dazu führen würde, dass Leute nicht mehr die echte Realität genießen können? Wieso konnten nicht viel mehr Menschen damals direkt erkennen, dass Leute wie Gates und Jobs recht hatten? Wieso brauchte es Ewigkeiten, bis das Internet dem Durchschnitt nicht mehr Angst machte, sondern zur Norm wurde?
Weil es immer Leute gibt, die sich nie die Mühe machen den Blick zu heben, um zu schauen wohin der Weg geht. Sie schauen auf den Boden unter ihren Füßen und nehmen an, dass es sich dabei nicht nur um den Status Quo, sondern um alles, was es jemals geben muss, handelt. So will ich nicht sein. Ein Blick auf die jüngere Geschichte lässt einen eindeutige Muster in iterativer Hard- und Softwareentwicklung finden, die wirklich nicht sonderlich versteckt sind. Mir bereitet der aktuell anstehende Umbruch so viel professionelle Freude wie seit der Einführung von Smartphones schon lange nichts mehr.
Man kann von Zuckerberg, Social Media und Meta halten, was man will. Man kann sich über den Namen Metaverse lustig machen, sogar hochnäsig erwähnen, dass man das Buch kennt, das der Name referenziert und man weiß, was das klug klingende Wort "Dystopie" bedeutet. Was man, wenn man in den nächsten 10-15 Jahren nicht abgehängt werden möchte, allerdings nicht tun sollte, ist zu unterschätzen, was hier gerade passiert.
Sich auf die Zukunft freuende Grüße
Marcel