Nonchalantes Schmatzen
Liebe Brieffreunde,
als ich letztens im Außenbereich eines Restaurants saß und mir den kleinen Grabstein vorstellte, den meine Katze Gigabyte nach ihrem Ableben in meinem fiktiven Garten bekommen würde, musste ich weinen.
Regelmäßig habe ich Albträume, in denen den Katzen irgendwas zustößt und ich wache entweder stark traurig oder tatsächlich tränenüberströmt auf.
Vorhin las ich einen Blogeintrag, in dem jemand vom Einschläfern ihrer Katze berichtete und – ihr werdet es erraten haben – ich weinte.
Die Tage saß ich abends auf dem Sofa, arbeitete an irgendwas an meinem Laptop und Millimeter kam in den Raum, setzte sich neben mich und nervte mich schmatzend so lange, so intensiv und so nonchalant, dass ich Tränen lachen musste, weil die Situation so absurd lange anhielt.
Bevor ich selbst Haustiere hatte, hätte ich sehr viel Geld darauf gewettet, dass ich nicht jemand werde, der so viel Salzwasser wegen seiner Katzen absondern würde.
Katzenhaltung ist irgendwie albern. Man sitzt regelmäßig vor einer Box und siebt Sand um Kacke zu finden. Wie der schlechteste Goldgräber aller Zeiten. Dann entdeckt man an einer Katze eine Fell-Verfilzung an einer schlecht erreichbaren Stelle und ist vier Tage schlecht gelaunt, weil man sie nicht entfernt bekommt und sich Sorgen um das Wohlergehen des Tieres macht. Die Laune hebt sich erst wieder, wenn eine Tierärztin das Filzknäuel in wenigen Sekunden abrasiert.
Ich kaufte Kameras, damit ich sehen kann, wie es den Katzen geht, wenn ich mal für einen Abend nicht daheim bin! Ich habe ein Babyphon! Für meine Haustiere!
Albern, ja. Aber peinlich ist es mir nicht. Wenig bereitet mir mehr Freude als die Gesellschaft der beiden.
Kein Elternteil will das hören, aber die Katzen haben mir ein Gefühl dafür gegeben, wie intensiv die Emotionen sein müssen, die man seinen Kindern gegenüber hat. Irgendwie kann ich jetzt sogar die Leute ein bisschen verstehen, die damals eine Mahnwache für Chico gehalten haben. Ich will nicht sagen, dass deren Prioritäten in irgendeiner Form richtig lägen, aber ich verstehe jetzt besser, wie sie so sehr aus dem Gleichgewicht kommen können.
Als jemand, dessen Familie oft mehr Hindernis als Hilfe war, ist es für mich eine neue Erfahrung, etwas in meinem Leben zu haben, das auf diesem Level Emotionen auslöst.
Das macht mir aber auch Angst. Die Hoffnung ist natürlich, dass auf lange Sicht das aus ihnen resultierende Glück die Trauer ihres Ablebens überwiegen wird. Gerade fühlt es sich nicht so an, als könnte das jemals stimmen.
Weil alles Vergängliche jederzeit verschwinden kann, sagen die Stoiker, dass man sich dieser Tatsache jederzeit bewusst sein soll. Man übt das Loslassen, während die Sache noch existiert. Für mich ergibt das viel Sinn. Der Tatsache ins Auge zu blicken, dass die Katzen irgendwann nicht mehr da sein werden, ich aber danach ein glückliches Leben führen möchte, hilft mir dabei, die Zeit mit ihnen noch mehr zu genießen. Was das genaue Gegenteil von dem ist, was viele Leute den Stoikern fälschlicherweise zuschreiben.
Eigentlich wollte ich diese Woche über meine Theorie Der Objektiven Wahrheiten schreiben, stattdessen entstand eine kaum zusammenhängende Abfolge von Gedanken zu Haustieren. Irgendwas ist ja immer. Wenn ihr Interesse an Stoizismus habt, kann ich weiterhin The Practicing Stoic sehr empfehlen. Als ich noch Buchreviews in meinem Blog veröffentlichte, war es das einzige, das sechs von fünf Sternen erhielt. Es hat mich nachhaltig verändert.
Danke für eure vielen und teilweise sehr langen und persönlichen Antworten auf meinen letzten Brief, übrigens. Ich las jede und freute mich über sie. Wenn ihr mir dieses Mal antworten wollt, dann schickt mir gerne auch ein Bild eurer Haustiere! Als jemand ohne Instagram habe ich einen starken Mangel an niedlichen Tierbildern in meinem Leben.
Salzwasserverkrustete Grüße
Marcel