Griechische Buchstaben der Resilienz
Wie die Pandemie eine Chance für Wachstum ist, die nur wenige bisher ergriffen haben.
Eine der beruhigendsten Erkenntnisse der letzten Wochen war, dass mein aktueller Lebensentwurf so resilient ist, dass selbst die theoretische Gefahr eines weiteren Pandemie-Jahres mich nicht sonderlich aus der Verfassung bringt. Leicht enttäuschend wäre es, klar. Allerdings weiß ich, dass ich trotzdem eine gute Zeit haben werde.
Ich glaube, dass diese positive Aussicht im Kern mit zwei Tatsachen zusammenhängt. Einerseits habe ich genug Projekte und Interessen, um zu wissen, womit ich diese Zeit verbringen würde. Ich hänge auch mal gerne in Restaurants und Bars rum, ziehe allerdings keinen relevanten Teil meiner Freude an Freizeit aus Konsum von Speisen und Getränken. Den sozialen Aspekt finde ich genau so gut in Spaziergängen an der frischen Luft. Das macht mich, wenn ich das so sagen darf, generell zu recht umgänglicher Gesellschaft. Wenn ich Zeit mit jemandem verbringen möchte, ist mir relativ egal, was nebenbei passiert. Ich bin für die Gespräche am Start, nicht dafür, dass mir jemand dabei hilft, Lebenszeit zu verbringen.
Eine Zeit, in der es wieder weniger "Freiheit" gibt, würde für mich also so aussehen, dass ich entweder meine Abende mit meinen Projekten und Hobbys verbringe, oder mit Spaziergängen mit Freundinnen und Freunden. Wenn das der Worst Case ist, habe ich keinen Grund zur Sorge. Hängt aber sicher auch stark damit zusammen, dass ich mir nicht täglich 200 Tweets von Karl Lauterbach und anderen in den Sehnerv injiziere und dadurch ein ausgeprägtes Gefühl der Hilflosigkeit entsteht.
Ich denke auch nicht, dass diese Sichtweise in irgendeiner Form groß mit genetischer Veranlagung zu tun hat. Nicht gelangweilt (oder langweilig) sein ist kein DNA-bedingtes Charaktermerkmal, sondern das Ergebnis von ausreichend Interesse. Und Interesse kann man sich antrainieren.
Die zweite Tatsache ist, dass ich mir Mühe gebe, jede Situation mit Humor zu betrachten, selbst wenn ich alleine bin. Das Leben wird direkt viel weniger langweilig und traurig, wenn man nicht auf externe Einflüsse angewiesen ist, um Freude zu verspüren. Es kommt nicht selten vor, dass ich über die eine oder andere Sache nachdenke und dann ein bisschen vor mich hin kichere, weil ich mich selbst amüsierte. Gigabyte und Millimeter als Gesprächspartnerinnen helfen auch.
Ergibt es Sinn, dass ich beim Braten von Spiegeleiern Giga davon erzähle, dass Eier von Hühnern kommen, die sie zwar sehr begeistern würden, aber letztendlich niemals eine Realität existieren wird, in der sie und ein Huhn am gleichen Ort sein werden? Nein. Die Abzweigung in die Ethik des Essens von Eiern und die philosophische Frage, was es mit mir macht, dass ich eigentlich weiß, dass Eier unethisch sind, aber trotzdem kein Veganer bin, brachte unsere Beziehung auch nicht voran, führte aber zu noch mehr einseitigem Amüsement.
Das alles ist viel Geblubber, das sich im Prinzip auf die singuläre Lektion komprimieren lässt, die jede Kolumne zu Dating als objektive Wahrheit vor sich herträgt: Stabile Leute müssen lernen, alleine und mit sich selbst zufrieden zu sein. Ich befürchte, dass die wenigsten Leute diese Wahrheit ernst genug nehmen. Dating ist nur ein weiterer Lebenskontext, in dem man von der Fähigkeit allein zu sein profitiert. Resilienz dieser Art hilft einem aber in jeder anderen Situation des Lebens auch.
Diese lächerlich lang anhaltende Situation, die wir durch Lüften und Maske tragen schon lange hätten lösen können, wäre die perfekte Gelegenheit, dahingehend an sich zu arbeiten. Viele Leute nutzen sie aber offenbar nicht und bewegen sich seit zwei Jahren von Hoffnung zu Hoffnung und damit von Enttäuschung zu Enttäuschung, dass bald alles wie vorher ist und man sich selbst nicht an die Situation anpassen muss.
Weil ich keine drei Sätze loswerden kann, ohne ein Buch von Cal Newport zu empfehlen: In Digital Minimalism geht es zufällig sehr viel um dieses Thema. Newport spricht davon, wie man sich ein Leben aufbaut, das so sehr von tiefen und erfüllenden Interessen geprägt ist, dass man nicht mehr so stark auf äußere Unterhaltung angewiesen ist. Sollte sich von euch also jemand gerade voller Schock und Angst über etwaige Buchstaben des griechischen Alphabets in einer Situation des durchgehenden Doomscrollings befinden: Ich hoffe, dieser Brief hilft, um als Anstoß in die richtige Richtung zu dienen.
Ansonsten
Seit gestern bin ich offiziell jemand, dessen Immunsystem durch AstraZeneca, BioNTech und Moderna erweitert wurde. Man nennt mich den Ash Ketchum des Impfsaftes. Nebenwirkungen: Keine.
Programmieren macht mir gerade sehr viel Spaß. Die ersten drei Tage des Advent of Code fielen mir nicht leicht, wurden aber gelöst. Und ich zog maximale Freude aus diesem Erfolg. Tag 4 und 5 sind noch heillos überfordernd, aber das ist okay. Das bedeutet nur, dass ich mich wieder um meine anderen kleinen Programmier-Projekte kümmern kann. Spielte im Zuge des Adventskalenders mit Node herum, habe das erste Mal programmatisch neue Dateien erzeugt und freue mich schon drauf, das irgendwie mit meinen noch sehr frischen React-Kenntnissen zu verbinden.
Meine wöchentlichen Sessions in Drive Now Autos sind mittlerweile an einem Punkt angekommen, an dem diese Autos für Transport von Dingen benutzt werden. Ich ziehe jetzt also, abgesehen von regelmäßigem Angstschweiß und Panik auch einen praktischen Nutzen aus diesem Projekt. Fortschritt!
Quatschige Projekte wie MO Labs und Exquisite Land kitzeln sehr viele Bereiche meiner Interessen. Blockchain, 3D, Programmierung, Gestaltung, alles dran! Davon gibt es durch das intensive Aufwallen der Web3-Thematik, aktuell sehr viele und irgendwie amüsiert mich die Weirdness davon sehr. Auch hier: Ich weiß, dass eine alternative Lebensführung wäre, dass ich all things Blockchain verteufle weil dies, das, Regenwald. Stattdessen akzeptiere ich die negativen Aspekte und ziehe auch Freude aus den positiven. Ist eine Mindset-Sache!